Dr. Marlis Wiebogen-Wessely, Dipl. ECVS

Chirurgie und Orthopädie

Patellaluxation beim Hund

Zusammenfassung

Die temporäre Ausrenkung der Kniescheibe stellt bei vielen kleinen Hunderassen einen häufigen Befund dar. Die Symptome sind meist nicht sehr schwerwiegend, können sich jedoch im Laufe der Zeit verschlimmern. Die Erkrankung wird in vier verschiedene Schweregrade eingeteilt. Während eine gelegentliche Luxation der Kniescheibe ohne schwere Symptome nicht unbedingt eine Operation erfordert, ist in gewissen Fällen eine chirurgische Vorgehensweise empfehlenswert.

Ursache der Patellaluxation

Miniatur- oder Zwergrasssen (Chihuahua, Yorkshire Terrier, franz. Bulldoggen, …) sind besonders häufig von dieser Erkrankung betroffen. Die Ursache hierfür liegt in einer Achsenfehlstellung der Hinterfüße. Während große Hunde meist sehr gerade ausgebildete Hinterbeinen aufweisen, liegt bei Zwergrassen eine mehr oder weniger ausgeprägte Biegung der Knochen des Oberschenkels und des Schienbeines vor, welche oft eine O-Beinigkeit führt. Durch die Stellung der Beinachse kommt es durch den Muskelzug an der Patellarsehne zu einem Zug an der Kniescheibe nach innen, was zu deren Herausspringen nach innen führen kann. Die mediale Luxation (Ausrenkung an die Innenseite des Knies) stellt die häufigste Form dar. Wenngleich auch ein Herausspringen nach außen vorkommt. Auch ein Unfall mit einer Schädigung der Bandstrukturen kann eine Ursache für eine Patellaluxation sein.

Abb.: Di Dona et al., 2018

Symptome erkennen

Meist fällt dem Besitzer eine gelegentliche Lahmheit (zeitweises Laufen auf 3 Beinen) auf. Nur bei einer traumatischen Patellaluxation (eher bei großen Hunden) ist die Lahmheit und der Schmerz bei Manipulation hochgradig. Manchmal stellt die Diagnose auch einen Zufallsbefund dar.

Der Schweregrad der Luxation wird  bei der Untersuchung in 4 Grade eingeteilt:

  • Grad I: Die Kniescheibe ist in ihrer normalen Position, kann aber durch Manipulation bei voller Kniestreckung aus dem Sulcus gedrückt werden und springt ohne Unterstützung wieder in ihre normale Position zurück. Klinische Symptome sind selten.
  • Grad II: Die Patella luxiert bei gestrecktem Knie spontan oder kann aus ihrer normalen Position gedrückt werden und bleibt dann in dieser Position. Dies verursacht typische intermittierende Lahmheiten. Sie kehrt nach einiger Zeit selbst oder durch Manipulation des Kniegelenks wieder in ihre ursprüngliche Position zurück. Es sind milde Gliedmassenfehlstellungen, wie Innenrotation der Tibia zu erkennen. Wenn die Patella luxiert ist wird der Fuß gestreckt zur Unterscheidung von Grad II und Grad III.
  • Grad III: Die Patella ist ständig luxiert (stationär), kann aber manuell in die normale Position gedrückt werden. Besteht die Luxation einseitig, wird der betroffene Fuß ständig entlastet. Sind beide Seiten betroffen, fällt die Lahmheit nicht mehr so deutlich auf, jedoch sind die Schritte eher kurz und die Knie gebeugt. Es ist eine deutliche Innenrotation der Tibia zu erkennen. Ein schwach ausgebildeter, flacher Rollkamm ist oft spürbar.
  • Grad IV: Die Patella ist dauernd luxiert und auch manuell nicht mehr in die Ursprungsposition drückbar. Das Gangbild ist sehr steif. Die Tibia ist deutlich nach innen rotiert und der Rollkamm oft flach.

Diagnose

Die Erkrankung kann meistens schon bei der Untersuchung ausreichend diagnostiziert werden. Auch wenn alleine bei der Palpation die Diagnose gestellt werden kann ist die Anfertigung eines Röntgenbildes empfehlenswert. Einerseits können so Arthrosen nachgewiesen werden, welche bei längerem Bestehen der Erkrankung auftreten. Andererseits können so andere Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden und der Grad der Fehlstellung erkannt werden. Bei besonders schweren Fehlstellungen kann eine Computertomographie sinnvoll sein um die Knochenfehlstellung genau messen zu können und eine evtl. notwendige Knochenumstellung zu planen.

Therapie der Patellaluxation

Bei leichten Luxationen (Grad 1 und evtl. Grad 2) ist nicht immer eine Operation notwendig. Bei gelegentlichen Schmerzen können vorübergehend Schmerzmittel gegeben werden und Schonung ist anzuraten. Einige Hunde mit leichten Symptome werden alt, ohne das dem Besitzer die Erkrankung auffällt.

Bei öfter auftretenden Schmerzen oder Ausrenkungen, schweren Lahmheiten und Patellaluxationen ab dem zweiten Grad kann eine Operation zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führen.

Typischerweise werden bei der Operation verschiedene Techniken kombiniert:

  • Vertiefung des Sulcus intercondylaris: Die Grube in welcher die Patella läuft wird vertieft, damit die Kniescheibe nicht so leicht rausspringen kann. Diese kann entweder als Keil oder als Block durchgeführt werden, welches von den funktionellen Zuständen abhängt.
  • Versetzung der Tuberositas tibiae: Meist ist eine Krümmung am Ober- / Unterschenkel Ursache für das Raushüpfen der Kniescheibe. Wenn der Ansatz des Kniescheibenbandes nach außen versetzt wird, verhindert dies ein Rausspringen nach innen.
  • Faszienraffung: Beim Verschluss des Kniegelenkes im Rahmen der Operation, wird die Kniegelenkskapsel auf der Außenseite gerafft (enger vernäht) um einen Zug an der Kniescheibe nach außen zu erzeugen. Dies beugt ebenfalls dem Rausspringen der Patella nach innen vor.
  • Umstellungsosteotomie: Bei besonders starken Verbiegungen des Ober- / Unterschenkels ist manchmal eine Korrektur der Achsen der Knochen notwendig, damit die Kniescheibe nicht mehr herausspringt.

Nach der Operation

Postoperativ ist Leinenzwang für 6 Wochen anzuraten. In dieser Zeit sollte der Patient nicht springen, rennen und sielen, damit der Knochen gut verwachsen kann. Abschließend wird nach dieser Zeit ein Kontroll-Röntgen angeraten.

Die Prognose ist grundsätzlich nach dieser OP als gut anzusehen. Diese verschlechtert sich jedoch bei besonders starken Fehlstellungen der Hinterfüße und bei einer Luxation des 4. Grades.

Quellen

  • Brunnberg L, Waibl H, Lehmann J (2014): Lahmheit beim Hund. Procane Claudo, Berlin.
  • Tobias KM & Johnston SA (2012): Veterinary surgery small animal. Elsevier, St. Louis, 1. ed.
  • O ’ Neill DG, Meeson RL, Sheridan A, Church DB, Brodbelt DC (2016): The epidemiology of patellar luxation in dogs attending primary-care veterinary practices in England. Canine genetics and epidemiology 3:4
  • Fullagar BA, Rajala-Schultz P, Hettlich BF (2017): Comparison of complication rates of unilateral, staged bilateral, and single-session bilateral surgery for the treatment of bilateral medial patellar luxation in dogs. Can Vet J. 58(1): 39–44.
  • Di Dona F, Della Valle G, and Gerardo Fatone G (2018): Patellar luxation in dogs. Vet Med (Auckl) 9: 23–32.